Freitag, 24. Juli 2020

Rezension zu "Die Tanzenden" von Victoria Mas


Inhalt 

Ganz Paris will sie sehen: Im berühmtesten Krankenhaus der Stadt, der Salpêtrière, sollen Louise und Eugénie in dieser Ballnacht glänzen. Ob die Hysterikerinnen nicht gefährlich seien, raunt sich die versammelte Hautevolee zu und bewundert ihre Schönheit gerade dann, wenn sie die Kontrolle verlieren. Für Louise und Eugénie aber steht an diesem Abend alles auf dem Spiel: Sie wollen aus ihrer Rolle ausbrechen, wollen ganz normale Frauen sein, wollen auf dem Boulevard Saint-Germain sitzen und ein Buch lesen dürfen, denken und träumen und lieben dürfen wie die Männer.
Mit verblüffender Lebendigkeit erzählt Victoria Mas in »Die Tanzenden« vom Aufbruch derer, die sich nicht zufriedengeben, von berührender Solidarität und unbeirrbarem Mut.

Autorin 

Victoria Mas, 1987 in Le Chesnay geboren, hat acht Jahre lang in den USA gelebt und dort als Script Supervisor, Standfotografin und Übersetzerin beim Film gearbeitet. Zurück in Paris, studierte sie Literatur an der Sorbonne und ist heute als freie Autorin und Journalistin tätig. Ihr Debüt »Die Tanzenden« erscheint in sechzehn Ländern und wurde mit mehreren Preisen geehrt, darunter dem Prix Stanislas und dem Prix Renaudot des lycéens.

"Die Tanzenden ist mein erster Roman, und es ist ein ganz besonderer erster Roman, weil er auf einer wahren Geschichte basiert, nämlich einem Ereignis, das sich Ende des 19. Jahrhunderts jedes Jahr in der Nervenheilanstalt La Salpêtrière zugetragen hat, einem Krankenhaus, das es auch heute noch gibt. In diesem Krankenhaus hat man damals vor allem Frauen behandelt, Hysterikerinnen und Epileptikerinnen, aber auch Frauen, die ganz einfach gestört haben – in der Gesellschaft, in ihrer Familie. Jedes Jahr fand dort zu Mittfasten ein großer Ball statt, auf dem diese Frauen Kostüme wie beim Karneval trugen und zu dem ganz Paris strebte, um die »Verrückten« von Nahem zu sehen. Wie sollte man sich nicht für dieses absolut empörende, beschämende Ereignis interessieren und wie sollte man nicht betroffen sein von dem Schicksal dieser Frauen, die dort oft gegen ihren Willen eingeschlossen waren?
Aus diesem Grund bin ich der Geschichte dieser Nervenanstalt nachgegangen, dem historischen Kontext und den Behandlungsmethoden, vor allem aber habe ich mich diesen Frauen verschrieben, die mehr oder weniger aus den Geschichtsbüchern getilgt wurden.
Ich habe versucht, sehr starke Frauenfiguren zu schaffen und die Frauen nicht als Opfer darzustellen. Sie sollten sich im Laufe des Romans befreien können. Im Laufe des Schreibens hat meine Begeisterung noch zugenommen, und ich hoffe, dass man daraus die Forderung mitnimmt, dass jede meiner Figuren ihren Platz in der Welt, ihr Schicksal und ihren Glauben selbst wählen darf."

  
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten 
Verlag: Piper; Auflage: 2. (6. Juli 2020) 
Sprache: Deutsch 
ISBN-10: 3492070140 
ISBN-13: 978-3492070140

Meine Einschätzung

Dieser Roman hat mich von der ersten Seite in seinen Bann gezogen und ich habe ihn an einem Tag einfach zu Ende lesen müssen... Beschrieben wird das Leben in Paris Ende des 19.Jahrhunderts. Die Schicksale von Frauen, die teils schon jahrelang als Patientinnen in der Nervenheilanstalt La Salpêtrière leben müssen, werden dem Leser beschrieben. Teils in Rückblenden erfährt man mehr über das Leben einzelner Insassen und die Gründe, warum sie in diese Anstalt eingewiesen wurden. In sehr bildlicher Erzählweise wird man in die Geschichte hineingezogen. Man erlebt die Ängste, aber auch die Hoffnungen und Freuden der einzelnen Frauen mit.
Nicht alle Frauen sind nervenkrank, hysterisch, geistesgestört oder epileptisch. Es gibt auch Mädchen und Frauen, die ihren Familien oder der Gesellschaft zu unbequem oder sogar zu gefährlich geworden sind und deshalb gegen ihren Willen nun in diesem Krankenhaus unter einfachsten, menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. 
Die Frauen werden regelmäßig als Studienobjekte Medizinern und Studenten vorgeführt und es werden dabei gefährliche Experimente unter dem Mantel der Wissenschaft an ihnen ausgeführt.
Einmal im Jahr werden die Reichen von Paris zu einem Ball eingeladen, bei dem die Frauen wie Puppen vorgeführt und angestarrt werden. Für die Patientinnen ist es der einzige Höhepunkt im Jahr und da sie in die Vorbereitungen - Kostümherstellung, Tanzdarbietungen usw. mit einbezogen werden, freuen sie sich sehr darauf. Der sonst so eintönige Alltag wird dadurch etwas bereichert.
Eugenie wird von ihrem Vater und Bruder in die Klinik geschleppt, weil sie ihrer Oma gebeichtet hat, dass sie Geister sieht und die Botschaften ihres verstorbenen Opas ihr überbringt...Doch sie ist nicht geistig krank. Sie hat Zugang zu dem spirituellen Kreis gefunden, der eigentlich nur Männern, darunter auch Wissenschaftlern, vorbehalten ist. Sie wehrt sich gegen die Vormachtsstellung der Männer im gesellschaftlichen Leben. In der Anstalt versucht sie ihre Würde zu behaupten, trotz Isolation und menschenunwürdigen Bedingungen.
Zu ihren engsten Vertrauten gehören Louise und Thérèse, die Opfer männlicher Gewalt geworden 
sind. Beide sind missbraucht worden und bekamen dadurch psychische Probleme... Während die junge Louise davon träumt auf dem Ball einen Heiratsantrag von einem jungen Arzt zu bekommen und so der Klinik entfliehen zu können, möchte Thérèse, die schon über 20 Jahre hier lebt, nicht mehr in den Alltag hinaus. Sie ist wie eine Mutter für die Insasinnen und strickt für alle warme Kleidung.
Ihnen gegenüber steht Geneviève, die als Aufseherin für Ruhe und Ordnung sorgt. Doch sie merkt, dass ihre Meinung von den männlichen Medizinern nicht akzeptiert wird. Als sie versucht, Eugénie vor einem weiteren Aufenthalt in der Klinik zu behüten, da sie festgestellt hat, dass das Mädchen nicht geistig krank ist, wird sie vom Klinikchef zurecht gewiesen. Es muss einen anderen Weg geben, das Mädchen zu retten...Welcher es ist und ob sich die Träume von Louise erfüllen, erfährt der Leser in diesem sehr berührenden Roman.
Die Autorin hat mit diesem Buch die Schicksale der Frauen in der damaligen Nervenheilanstalt
La Salpêtrière lebendig werden lassen. 
Ein gelungener historischer Roman, nach wahren Begebenheiten, der fesselnd geschrieben ist und den Leser lange nicht loslässt.
  

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